Wir schreiben einen Blog. Ein Tagebuch zu unserem Projekt (ÜBER)WUNDEN.
In Anschluss an unser Recherche Projekt WUNDEN, gehen wir nun in den öffentlichen Raum um in direkten Kontakt mit den Bürger:innen Halles und der Stadt selbst zu kommen. Wir wollen einen Austausch über Wunden, ob persönlich oder stadtgeschichtlich, offen oder verheilt, vergangen oder aktuell. Mit drei schwarzen, zu Beginn leeren, Kuben ziehen besetzen wir verschiedene Orte der Stadt und machen sie zu Orten der Begegnung. Am 02.10. wird sich unserer Sammlung schließlich entladen.
In diesem Blog teilen wir unsere Erlebnisse, sammeln und berichten, welche Erfahrungen wir an den Würfelstationen gemacht haben.
Würfel-Logbuch Nr. 3
Dienstag, 28. September, 12.00 bis 16.00 Uhr
am jüdischen Friedhof Halle
Heute ist es anfangs trüber als gestern. Die Wolken geben der Sonne gut contra und noch ist es feucht und frisch. Vor mir ein Wettrennen von Autos und Tram. Der Bürgersteig vor dem jüdischen Friedhof wird nur mäszig passiert. Tolle Aussichten für einen Vier-Stunden-Job am neuen Lieblingsgerüst. Ich betrachte die Steintafel an der Wand, die das Friedhofsgebäude als ehemaligen Deportationsort ausweist. Das Gebäude selbst ist wegen Desinfektionsarbeiten derzeit geschlossen.
In der ersten Stunde erkundigt sich eine ältere Frau mit Beutel nach der neuen Haltestelle. Da erfahrungsgemäsz die Fantasie der meisten Gesprächsbereiten was ihr persönliches Innenleben für den Würfel angeht, eher dahintröpfelt, kommen wir gleich zur Sache. Wunden in Halle? – Klar, sofort stellt sie einen Bezug zum Standort her. Schlimm, was den Juden und Jüdinnen da widerfahren ist, aber diese Hüte und Locken. Das spräche sie nicht an. Es folgt eine in ihrer Dreistigkeit anschauliche Aneinanderreihung: Türken (groszes Maul), Fidschis, Zigeuner und (!) Roma (betteln statt zu arbeiten). Alle von ihr unter den Begriff „Ausländer“ subsumiert. Sie selbst kenne aber keine Ausländer, habe noch fast nie „mit einem“ gesprochen. Doch mit Karamba, fällt ihr später ein. Sie sei es eben nicht gewohnt. Im Westen wäre man ja mit Türken aufgewachsen, da wäre das kein Problem. Es braucht zwei, drei vorsichtige aber bestimmte Nachfragen nach dem Warum und die Globalisierung aller „Fremden“ findet ein schnelles Ende. „Ich könnte stundenlang reden“ – Blosz nicht. „Na, ich komm wieder.“ Schon ist sie in die Tram gestiegen.
Ich sitze eine Weile da und frage mich, ob ich das wirklich will. Hier sitzen und mich dem Rassismus und dem unreflektierten Gelaber alter Leute aussetzen. Menschen, die nicht zuhören, nur reden wollen. Nur gehört werden wollen. Verständnis für mein Unverständnis haben, aber „jaja“ sagen und sofort nachladen. Und dann doch diese Hoffnung, dass Dialoge helfen, anregen.
Nach ein Uhr spreche ich mit drei Freunden aus Russland, Kasachstan und der Ukraine, die seit vielen Jahren in Deutschland leben. Man bietet mir Mettbrötchen, Salat und Wurst an. E. erzählt von dem Bruder seines Vaters, der als Fallschirmjäger bei der SS von russischen Partisanen ergriffen und für über 20 Jahre eingesperrt wurde. Er selbst habe lange im Bergbau gearbeitet, jetzt ist er Hausmeister. Bald arbeitet er über sechzig Jahre und die kleine Rente wird ihn so schnell nicht ruhen lassen. K. und W. kennen sich schon zehn Jahre. Die russische Sprache verbindet. Beide sind vor Jahren nach Halle gekommen, teils mit der Familie. W.s Mutter liegt seit über 13 Jahren auf dem jüdischen Friedhof, seit acht Jahren liegt der jüdische Vater auch dort. Er selbst gehe aber nicht in die Synagoge, bete nicht. Schweigen. Kurzer Schlagabtausch auf Russisch. Dann: „gute Menschen da in der Synagoge.“ Rauchend winken die drei mir später nach.
Wenig später joggt S. vorbei. Auch ihre assoziativen Bezüge zu Wunde beziehen sich auf den jüdischen Friedhof. Manchmal liefe sie dort spazieren, „weil es da so schön ruhig ist.“ Aber man fühle sich auch schuldig wegen der Arroganz und dem was Deutschland damals im II. Weltkrieg in die Welt getragen habe. Die Mentalität des „Alles was uns nicht passt, wird platt gemacht!“ „Seelische Wunden“ nennt sie das. Ob historische Verantwortung oder missglückte Träume, die man auf Kinder projiziere, eine Wunde sei etwas, was man weitergeben würde. Manche Wunden werden einem aber auch erschreckend bewusst. So wie die Erkenntnis, dass man plötzlich durch Krankheit körperlich nicht mehr zu allem in der Lage sei. Nur noch Mensch sei und alles andere unwichtig werde. Den Würfel lässt sie in ihrer Beschreibung lieber leer, da sei mehr Platz, ihn gedanklich zu füllen. Ein gefüllter Würfel ist ja quasi gleich auserzählt, lässt keinen Raum. Sinnbildlich wie ein neuer Morgen, an dem man im Bett liegt und weisz „heute ist alles möglich, ich muss nur rausgehen.“
Gegen drei Uhr besucht mich eine neugierige M. Zum Thema Wunden deutet sie auf ihren linken Arm. Der trägt anscheind immer noch eine lange Arme vom Unterarm bis zur Schulter. Relikt eines früheren Unfalls. Das Auto sei über den ganzen Arm gefahren. Aber wie schon zuvor S. sieht auch M. sich im Bezug auf Wunden mit der deutschen Vergangenheit konfrontiert. Gerade wenn sie das alte Tor der Synagoge (Jerusalemer Platz) sehe, empfinde sie Schuld und Fremdscham für „diese Zeit.“ Wie geht man nun damit um, wie kümmert man sich um solche Wunden, möchte ich wissen. Für M. gehe das nur, indem sie mit ihren Kindern, Eltern und Enkeln darüber spreche, damit so etwas nicht wieder passiere. Dass in der Frohen Zukunft so viele die AfD gewählt haben, verstehe sie nicht. Sie stehe aber zu ihrer Meinung.
Ein älterer Mann mit Roller fährt vorbei und hält interessiert direkt vor mir. Meine Fragen nach Wunden weisz er nicht zu beantworten. Ihm gehe es gut, geschichtliche Wunden kenne er keine. Nun müsse er los, noch zur Sparkasse Geld holen. Mitten ins Gespräch kommt eine Frau mit Gehstöcken und will wissen, „was es hier gibt.“ Auf meine Frage nach Wunden-Assoziationen muss sie plötzlich los. „Schönen Tag noch.“ Ich habe wohl nichts, was für sie von Interesse ist.
Kurz vor Ende meiner “Würfel-Schicht“ kommt dann die Frau mit dem Beutel aus der Stadt zurück. Ich überlege kurz, ob ich eine weitere unbefriedigende Konfrontation eingehen möchte. Wir bedienen kurz soliden Small-Talk. Versicherung, Bausparvertrag. Als das Gespräch nach wenigen Sätzen zu rosten droht, bleibt sie aber weiter am Tisch stehen. Man merkt, es arbeitet in ihr. Oder sie will einfach nicht nach Hause. Ich frage sie, ob ihr noch etwas zu vorhin eingefallen sei. Dass sie keine „Ausländer“ bisher getroffen bzw. gesprochen habe, scheint sie zu beschäftigen. Darum dreht es sich während des Gesprächs immer wieder. Dann lädt sie aber nach. Diese „laufenden Mumien“ seien ja auch minderwertig. Also nicht die Menschen an sich, sondern diese Menschen seien sich minderwertig. Ich versuche eine konkrete Religionskritik herauszukitzeln, aber sie verleibt vage. Vielleicht sei sie zu offen. „Ich bin ein Widerspruch, oder?“Sie lacht. Aber ihren Zustand ändern möchte sie auch nicht. Irgendwohin gehen, das sei für sie nichts. Es sei denn jemand würde sie mal ansprechen. Als ich versuche sie zu motivieren, den ersten Schritt in Richtung Austausch zu wagen, – sie habe ja schon für sich erkannt, dass ihr Begegnungen fehlen, um neue Perspektiven zu eröffnen – hat auch sie es sehr eilig. „Ich mach jetzt meinen Tolino-Beutel fertig. Schönen Tach!“
Tag drei am Kubus geht zu Ende. Ich muss daran denken, dass ich im Alltag in Halle selten mit Menschen auszerhalb des eigenen Kosmos zu tun habe, noch seltener solche Themen bespreche. Gegensätzlicher hätten die Aussagen, Ansichten und Haltungen dabei heute nicht sein können.
Würfel-Logbuch Nr. 2
Montag, 27. September, 15.30 bis 18.00 Uhr
Oper Halle
Da geht was – Das sieht man von Weitem. Der Platz um die Oper ist nicht nur durch die anderen Glasbunker belebt. Dieser Knotenpunkt in Halle scheint nicht nur Transitstrecke für Menschen auf dem Stadtweg zu sein. Nein, hier geht man noch spazieren mit Kind oder Hund oder einfach nur so. Zu meiner Begeisterung liegt der Spot, an den der Kubus gerade vom Johannesplatz chauffiert wurde jetzt in der Sonne. Sonnenbrand Ende September, das wäre es ja noch. Jetzt erstmal Assoziationen einholen.
Kaum sitze ich, kommen die ersten Interessierten. Zwei in Halle-Montur, die für die Glasbunker im Info-Einsatz sind. Ich will natürlich etwas von ihnen wissen, aber mehr ihre Assoziation zu der Installation des Würfels, nach der sie so eifrig fragen. Es soll Rückzugsort werden, der Kubus mit Wald und Blumen. Etwas, das gegen den Stadtlärm von Kopsteinpflaster und Brunnen ankämpft, etwa mit Vogelgeräuschen. Also quasi Brandenburg-Bunker Deluxe. Darauf können sich beide einigen.
Danach gegen vier kommt N. und bleibt dann doch als einer von wenigen heute stehen. Wir sprechen Deutsch-Englisch-Französisch und seine Fantasie interpretiert den Kubus als Meinungs-Mahnmal. Auszerhalb der Box denken. Er sei auszerhalb der Box und als Koch darauf angewiesen, auch mal die Variation mitzudenken. Warum eine Lasagne nur auf eine Weise machen, wenn ich unzählige Möglichkeiten habe. Später werden er und seine Tochter nochmal die Fahrräder vorbeischieben. Für sie kann der Würfel nicht voll genug mit Spielzeug sein mit ihr in der Mitte, eingebaut in Brettspiele.
Die Sonne zieht am Schornstein auf der anderen Straszenseite vorbei und spült lange nur Menschen an mir vorüber. Ein Mann im Rollstuhl fährt zweimal hin und her bevor er schlieszlich fragt, was das soll. Den Arm auf einem Hundekissen zaubert er eine Erinnerung aus der Kindheit hervor und inszeniert mit Worten ein Paradies aus Teddies und allerlei Spielzeug mit Tee-Kränzchen in der Mitte. Mal wieder Freunde einladen zum Tee, so wie früher. Der Satz ist noch nicht fertig, da fährt er schon weiter.
Da ich heute noch mein Arbeitshemd anhabe und damit noch mehr nach Versicherungsandreher aussehe, bleibe ich auch weiter eher in der Reserve. Bleibt ein Blick aber länger und wird vielleicht ein fragender, wissbegieriger, dann feder ich aus dem Klappstuhl. D. und H. wollen es dann wirklich wissen und kommen ohne Zögern auf mich zu. Jetzt kommen die Wunden ins Spiel. Nach der Schnittverletzung von der Arbeit am rechten Finger und der missglückten Leber-OP wirds direkt: „Eine Wunde werden wir nicht mehr los – den II. Weltkrieg.“ Wir seien doch überall nur die Nazis. Das auch ein bisschen zurecht, aber gerade wenn man sich davon distanzieren will, sei es schwierig. Dann müssen die beiden weiter, Flaschen sammeln. Wenn ein Job nicht reicht, müsse man eben nochmal ran. Die beiden könnten aber auch nur spazieren, so sehr sprudeln sie vor Energie.
Im Hintergrund turnt einer mit seinem Sohn und läuft sich schon fürs Gespräch warm. Die beiden J.s hätten aus der Ferne schon das sadomasochistische Gestell gesehen und der Ältere erkennt darin sofort eine Liebesschaukel.
Länger wird fleiszig streng am Würfel vorbeigeschaut oder untereinander mit „Ist das auch Kunst?“ bedacht. „Guck mal, da sind die Scheiben raus“, sagt eine ältere Frau zu ihrer Begleitung.“ Dann betreten O. und G. die Szenerie. Der Brandenburger sähe am liebsten eine Installation eines Helmut Kohls inmitten vergärender Birnen in dem Kubus oder jede Menge Ost-Bauschutt aus leer geräumten Häusern. Für sie darf es eine Ausstellung aller Köstlichkeiten der Bundesländer sein, am besten als Blindverkostung. Quasi eine kulinarische Synopse der Fress-Expo. Warum nicht, aber wie sieht’s aus mit Gedanken zu Wunde? „Mein Lächeln!“ Das kommt blitzschnell von links. Gefolgt von Lyrik. Da tropft Harziges aus verletzter Rinde und doch bliebe der Baum am leben. Der „Schorf von frühen Wunden“ allerdings, bliebe „auf der Seele kleben.“ Dann zeigt er auf die Uhr, weil er noch ins Fitness-Studio muss.
Dann is die Zeit auch schon wieder vorbei. Das hätte jetzt noch so weitergehen können. Inspiriert lasse ich aber Wald-Spielzeug-Liebesschaukel-Kohl-Installation wieder schwarzes Symmetriegitter sein. Auf dem Heimweg fällt mir auf, dass niemand bisher im Kubus drinnen war, auch nicht auf Einladung. Vielleicht bestätigt sich meine erste Annahme, das Ding wäre bedrohlich oder es ist zu sehr Kunst oder alle wollen outside-the-box sein. Oder alles zusammen.
Würfel-Logbuch
Donnerstag, 23. September, 12.00 bis 15.30 Uhr
Stadion Halle
Beim Einbiegen in die Strasze fällt einem der Würfel sofort ins Auge. Es ist das erste Mal, dass ich ihn live sehe. Das schlichte schwarze Metallgerüste lädt sofort ein, hineinzusteigen.
Zuerst erinnert er mich an irgendetwas zwischen Himmelbettgitter, Performancefläche und Festivalspielplatz. In seiner metallisch schwarzen Schlichtheit wirkt er verwunderlicherweise auf mich auch bedrohlich. Er ist trotz seiner „groszen Maschen“ auch ein Käfig oder Verhörraum.
Interessanterweise scheint der Würfel für vorkommende Menschen, ob nun im Auto, dem Fahrrad oder zu Fusz, nicht so aufregend zu sein.
Ich sitze mit Tomy neben dem Würfel und beobachte erstmal die Szenerie. Der Würfel scheint so unauffällig zu sein, dass er von niemandem grosz bemerkt wird.
Nach einer halben Stunde kommt ein altes Ehepaar und ist enttäuscht, als sich der Würfel nicht als Bushaltestelle entpuppt. Nur als „Bushaltestelle mit viel Luft“!
Die Zeit vergeht und ich bemühe mich, nicht interaktiv zu werden, um alles zuerst wirken zu lassen. Wie viele Hunde und Menschen mit Hundenes um das Stadion gibt.
Ab und zu zieht es einen dann doch in den Würfel, die Anziehungskraft ist zu grosz. Er will irgendwie, dass man sich zu ihm verhält.
Um 13.00 Uhr kommt jemand aus dem Imbiss auf der anderen Straszenseite. Er ist neugierig, denn sie hätten schon gerätselt. Er nimmt den Kubus erstmal als Theaterfläche oder Umkleidekabine wahr. Unvollständige Umkleidekabine wohl bemerkt. Er kommt ins Reden und erzählt, dass er vor 30 Jahren aus seinem Heimatland nach Halle gekommen sei. Dass man ihn damals aus dem Westen in den Osten geschickt hätte. Für ihn ist es dieses Jahr also quasi ein Jubiläum.
Eine lange Zeit interessiert sich niemand mehr für den Würfel. Auch der Versuch, Blickkontakt aufzunehmen, wird von vielen Leuten fast provokativ aufgegriffen. Als würde man gleich Taz-Probeabos oder Patenschaften für seltene Tiere in Sri Lanka aus dem Hut zaubern.
Ich sasz inzwischen auf, neben, in, an und hinter dem Würfel und habe eine Pommes auf dem Boden des Kubus gegessen. Wenn keiner ihn beachtet, will ich ihm wenigstens Gesellschaft leisten. Kurz liege ich auch flach in der Mitte. Das wiederum sorgt bei manchen vorbeihastenden für Irritation. Schnell setze ich mich wieder hin.
Später um 14.20 Uhr kommt eine Frau und kann ihren Blick nicht von dem Kubus abwenden. Auf eine Nachfrage sollte der Würfel am besten mit Bildern an allen Seiten versehen werden. Was denn auf diesen Bildern zu sehen sein könnte. – DIe Zukunft, in der wir zum Mond fliegen. Und was, wenn die Bilder auf dem Würfel in die Vergangenheit zeigen? – Dann sieht die düster aus und zeigt die Zuwanderung der Menschen aus Schlesien nach Sachsen-Anhalt.
Gegen 15.00 Uhr wird der Kubus abgeholt und schwankt elegant über dem Kopfsteinpflaser eher auf von dem ruckelnden gelben Laster entführt wird. Für den Mann vom Kranservice ist die Sache klar: „Da ich praktisch veranlagt bin, ist es für mich erstmal ein Metalgerüst.“
Am Johannesplatz wird er erneut positioniert. Sofort eilen Kinder aus der gegenüberliegenden Schule herbei und sind ganz neugierig. Soviele Leute auf einmal kamen am Stadion nicht. Für ein Mädchen mit Hund, das gerade Gassi geht – aha, auch hier wieder dieser Hunde-Traffic – könnte man den Kubus mit Süszigkeiten füllen.
Der neue Ort tut dem Würfel gut.
Ich fahre heim. Die Zeit ist verblüffend schnell an einem vorbeigezogen.
Jeder, dem ich von dem Wort „Wunden“ erzählt habe, fand es interessant.
Es gab Leute, die mir Dinge über Sie erzählen haben, ohne dass ich Sie etwas gefragt habe.
Andere Menschen öffneten die Türen ihrer Arbeit, um mir von ihrer Vision der Verwundung zu erzählen. Wie Sie helfen, die Wunden zu heilen und wie eine Wunde für Sie klingen würde.
Wir selbst in der Runde fingen an, über unsere eigenen Wunden zu sprechen, wobei wir die Aufgabe, über die wir sprechen mussten, manchmal missverstanden oder falsch verstanden haben.
Wir sind alle verwundet, manche größer, manche kleiner, manche sehen sie, manche nicht.
In diesem Wort, die Wunde, habe ich die Menschen gefunden.
Dies war meine erste Annäherung an einen Moment, ein Bild oder vielleicht etwas anderes, was eine Wunde sein kann oder was zu hören ist, während sich eine Wunde öffnet oder definitiv schließt.
Ich entschuldige mich, wenn mein Deutsch nicht korrekt geschrieben ist,
zum Glück haben Wunden keine Sprache.
Vielen Dank
https://soundcloud.com/tomysuil/you-know-the-way-ps-ensemble
Eure Wunden, unsere Wunden.
Danke an die Ensemblemitglieder P&S, die mir Zeichen ihrer Wunden in Zeichnungen, Film und Objekt geschenkt haben.
Daraus ist ein Bild entstanden.
„Tal der Tränen“ – „La vallée des larmes“.
1 m x 1,2 m.
AUS DEM OFF
Kommentar zur Frage: Warum lässt du dich tätowieren und welche Rolle spielt Wunde & Schmerz dabei für dich?
von Christoph Minkenberg
Für mich ist das Tatowieren schon auch ein bisschen ein Ritual. Also ich muss dabei auch gedanklich präsent sein. So wie andere sich dabei einen Film im Tattoostudio reinziehen oder so, das kann ich nicht. Sich unterhalten, Musik hören – das ja. Aber ich muss mich in diesem Moment – wie lange auch immer er dauert – auf das konzentrieren können, was da passiert. Nämlich die Nadel in meiner Haut, das Surren der Maschine, die mit ungefähr 130 Rotationen pro Minute in die Haut ballert. Das ist in gewissser Weise auch etwas Heiliges. Auf jeden Fall besonders, das macht man nicht jeden Tag und so sehr ich der Auffassung bin, dass Tatoos nichts bedeuten müssen, sondern auch einfach Schmuck und Ästheik sein können, so ist es dennoch wertvoll, weil man sich etwas eingravieren lässt, das im Optimalfall für immer bleibt und damit immer eine Bedeutung hat. Diese Bedeutung mag sich ändern, das ist immer Ausdruck des persönlichen Zeitgeschehens, aber auch wenn es operativ retouschiert werden kann oder mit neuer Tinte überschrieben, so wurde es doch einmal eingeschrieben in die Haut. Für mich spielt der Schmerz da auch eine essenzielle Rolle. Ich mag das Gefühl, dieses Kratzen und Stechen. Das brennt ein bisschen, aber es fühlt sich nicht verkehrt an, nicht wirklich wie Schmerz. Es ist aber auch nicht unbedingt angenehm oder schön. Schwer fassbar. Jedenfalls besonders. Und manchmal muss man auch die Zähne zusammenbeiszen. Zum Beispiel wenn die Nadel an der dünnen Haut arbeitet, die über deinen Rippenbögen liegt und durch das Vibrieren der Nadel auf dem Knochen der ganze Brustkorb sonorisch zu vibrieren scheint. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl.
Der Akt der Pflege ist danach einerseits hygienische Notwendigkeit – die Wunde muss einfach feucht bleiben, um verheilen zu können – , andererseits eine besondere meditative Routine. Zumindest nach der Sorge um das noch frisch eingepackte Bild und wie es wohl aussieht ohne Schutzfolie. Für den Zeitraum des Verheilens muss ich mich mehrmals täglich um die Wunde kümmern und sie cremen und bekomme dadurch eine ganz klare Verbindung zu meinem Körper. Das ist im Grunde nichts anderes, als Zähneputzen, aber dennoch ist es etwas, das mich meinem Körper näher bringt. Etwas an das ich ständig denke und mir immer im Hinterkopf ist. Dann gibt es wiederum den Moment, wenn alles längst verheilt ist und man nach dem Duschen in den Spiegel sieht und sich denkt ‚Huch! Ach, da war ja was!‘
Frage 11: Wie würde für dich eine Wunde klingen?
…ganz stark nach Jacques Brel!
AUS DEM OFF
Kommentar zur Frage: Warum tätowierst du und welche Rolle spielt Wunde & Schmerz dabei für dich?
von Lukas Beneke (Tätowierer & Tätowierter) alias @Scrath.art
Die Antwort auf die Frage, warum ich als Tätowierer arbeite, geht Hand in Hand mit der Antwort auf die Frage, warum ich mich selbst tätowiere und tätowieren lasse.
Jedes Tattoo auf meinem Körper hat irgendeine Bedeutung für mich – hinter manchen Motiven stehen die Personen, die es gestochen oder entworfen haben, oft als wichtige Menschen in meinem Leben. Andere Motive haben eine tiefe persönliche Bedeutung – entweder in ihrem übergeordneten Inhalt oder dem direkten Motiv. Manche sind auch lediglich Schmuck, der mich zieren soll. Alle jedoch haben einen konsequenten Tagebuch-Charakter – so gut wie all meine Tätowierungen stehen direkt auch für den Zeitpunkt, das Mindset und die Dinge, die mich zu der Zeit beschäftigten, als ich das Tattoo bekam – einer der Gründe, warum ich davon ausgehe, dass ich keines meiner Tattoos jemals bereuen werde. Auch wenn ich mich eines Tages mit einem Motiv nicht mehr identifiziere, so ist es doch ein Teil meiner Geschichte und darf somit auch ein Teil meines Körpers sein.
Mit jedem neuen Tattoo habe ich das Gefühl, mich selbst etwas mehr zusammen zu bauen – als würde ich Teile hinzufügen, die genau dort hingehören. Die Kombination aus diesen Aspekten brachten mich zum Handwerk des Tätowierers – ich habe das Gefühl, mit meiner Arbeit und meinen Werken Menschen zu komplettieren, ihnen Dinge hinzu zu fügen, die sie erweitern oder vervollständigen. In den meisten Fällen haben Tattoos für Menschen nicht nur die optisch-ästhetische Komponente, sondern eben auch eine übergeordnete Bedeutung – eine Verbindung zur Familie oder einen Menschen durch verschlüsselte Bilder, eine Erinnerung an ein Ereignis oder eine gewisse Zeit durch stellvertretende Symbole.
Bei vielen Tattoos sind die mit dem Prozess einhergehenden Schmerzen, die Pflege und der Abheilungsprozess reines Mittel zum Zweck – Tätowierungen, bei denen hauptsächlich das bildliche Motiv im Vordergrund stehen, können von mir aus auch gern ohne den nervenaufreibenden Aufwand und Nachsorge entstehen. Manche Motive allerdings haben einen primären persönlichen Stellenwert, stehen für tief verwurzelte Weltbilder, stellen Mantren für meinen Lebensweg dar oder Elemente, an die ich mich selbst erinnern will und muss.
Bei diesen sehr privaten Tätowierungen ist der Prozess, eine Idee oder einen Grundsatz mit Werkzeug unter meine Haut zu befördern, um sie für den Rest meines Lebens stets im Blick zu haben und mit mir zu tragen, Teil eines kathartischen Erlebnisses.
Die meisten dieser bedeutungsvollen Tattoos habe ich mir selbst gestochen – meist begleitet von Musik und einer forcierten Atmosphäre/Stimmung, die den Vorgang fast zu einer Art Ritual macht. Die Empfindung der Schmerzen, der zermürbende Prozess, die Erschöpfung danach, sowie die Beobachtung und Pflege der Abheilung in den folgenden Wochen gehören zu diesem Prozess dazu und verleihen dem ganzen mehr Tiefe, Wirkung und Bedeutung. Ich muss in dieser Zeit dem Tattoo Beachtung schenken und es pflegen, damit der Gedanke ein manifester Teil von mir werden kann.
Diese Form der gepflegten Wunde, ihre Zufügung, Pflege und Verheilung in neuer, ästhetisch vervollständigender Form ist ein Ritual, mit dem ich mich erweitere und ausdrücke – selbst zusammenbaue.
AUWEIA
Ein Wehweh
ein Aua ein
Auaweh aua
aua Auaweh
aua aua weh‘
weg weg weg!
W U N D E N
aua, nie ist vergangenes vergangen, wenn es, aua, erinnert, aua, geht es lange nicht fort, aua. sie hat sich einen ort gesucht, der bin ich, aua. ich habe mich an meine wunde gewöhnt. wer auch immer da kommen will um mir meine wunde zu nehmen, den schlage und steche ich. meine wunde gehört mir, sie hört auf mich, sie schmerzt bei regen und brennt in der sonne. sie erlaubt sich einen teil von mir zu nehmen, ohne ihn zurückzugeben. sie nimmt ihn sich und packt ihn ein in etwas, was ich nicht kenne, was aber immer zu mir gehören wird.
S T I C H E
tief, bohrt es
rostig rot
aus lust wird verlust.
sie und er, erinnerungen, ein schnitt, einschnitt ins blut, unausgesprochenes ausgesprochen, als stummes geschrei, ausgebrochen.
gib mir beweise, verweise, ins leere, lehre, belehrung als naht, mauer, zaun wir, ihr, sie, am ende, heilen sie nie.
architektonische Wunden
Ein leerstehendes Jugendstilgebäude in der Leipziger Straße, das in den Zwanziger- und Dreißigerjahren ein mondänes Textilkaufhaus war. Zur Zeit wird es saniert.
Foto: Stadtarchiv Halle
Versicherung
wir sind verletzt
wir bluten
wir haben es nicht bemerkt
„DU BLUTEST DA AM ARM!“
wir haben unterschätzt
was da geschieht
und dort
was sich entwickelt
obwohl
es garnicht
eingewickelt war
„KUNST ENSTEHT AUS VERLETZUNGEN!“
was für ein bitterer Afront gegen die Schönheit.
//
Der Zug ist stehen geblieben
Eigentlich war er schon abgefahren.
Wir sind aufgesprungen.
Bei voller Fahrt.
Nun steht er.
Wir wollen dabei sein.
.
WE HURT OURSELVES FOR FUN – Gepflegte Wunden
Teller in der Unterlippe als indigenes Körperritual, Löcher in der Nase als Subkultur und herausgenommene Hautfetzen als Ausdruck der eigenen Freiheit. Warum Menschen sich Wunden zufügen, um sich zu erhöhen. Über Körperkunst, Bodymodification, Heilung & Schmerzen – eine subjektive Annäherung in mehreren Teilen.
Teil I – Tinte & Haut
Eine Wunde scheint anatomisch etwas zu Überwindendes zu sein, etwas, das man eigentlich vermeiden sollte. Zumindest sind für mich die ersten Gedanken an WUNDEN durch Verletzungen geprägt, sozialisert. Da kommen Bilder von offenen Knien nach Stürzen mit den Inlineskates oder schorfige Rücken nach wilden Tagen auf dem Festival. Also allesamt nicht intendiert und im Nachgang mit Schmerz, Wundwasser und Dinopflastern verbunden.
Aber eine Wunde ist ja nicht immer schlecht. Nicht, wenn man sie sich als Schmuck herbeisehnt. Wenn ich zurückdenke, kommen da viele Eindrücke. Mein erstes Ohrloch, bei Teenie-Freund*innen abends im Keller mit einer heiszen Nähnadel gestochen und anschlieszend mit Vodka desinfiziert. Also das Ohrloch und die erhitzten Teenie-Hirne. Der schwarze Nasenring in der Unizeit. Diesmal professioneller. Gestochen von der Freundin, die Ärztin ist. Mein erstes Tattoo als Erinnerung an die Zeit im Ausland. Oft bleibt es ja nicht bei einem Piercing oder einem Tattoo – ich hänge bald sprichwörtlich an der Nadel. Man könnte also sagen, es handelt sich um eine Gatewaydrug, die Einstiegsdroge für Körperkultige und Anhänger*innen einer schnell gewachsenen Subkultur. Zumindest beobachte ich das bei mir.
Das erste Tattoo sticht mir James, ein junger Künstler in einem riesigen Tattoo-Studio in Brisbane. Ein schwarzer Kompass an die rechte Verse. Nachdem er die erste Linie gestochen hat, beugt er sich kurz zu mir. „How does that feel?“ – Es fühlt sich erstaunlich gut an, nach mutig und radikal sein. So mutig zumindest, wie alle anderen, die sich einen Kompass stechen lassen. Nachdem der aufregende Teil fertig ist, kommt allerdings der anstrengende Part: die Tattoo-Pflege. Die Wunde, die man sich gerade bewusst stechen liesz, muss schlieszlich wieder verheilen. Ein witziges Paradoxon. Also wird der Fusz in Folie eingewickelt und sieht ein bisschen so aus, wie die Hühnerkeulen, die man im Discounter kaufen kann. Dann nach einem Tag warm abspülen und dann cremen, cremen, cremen. Was das angeht, streiten sich natürlich die Geister, welche Créme die Beste ist. Letztendlich hat jede*r seinen/ihren Favouriten. Mal mit Bienenwachs, mal nur Kokosöl, andere wiederum vertrauen auf die gute alte Bepanthen, die man schon als Kind von der Mutter bei Verletzungen bekommen hat. Zuviel Panthenol, sagen die einen. Dafür lieber Vaseline – Hauptsache die Wunde bleibt feucht, trocknet nicht etwa aus, schwimmt aber hoffentlich nicht in einer Welle von Creme davon. Spricht man darüber, kommt oft die urbane Legende von einem, der sich den Rücken vollhacken lieszen und anschlieszend auf seinem Bettlaken eingeschlafen ist, ohne sich viel um seine Wunde zu sorgen. Beim Aufstehen reiszt das klebrige Tuch – stundenlang in Wundwasser getränkt und mittlerweile angetrocknet – das ganze Tattoo von der Haut. Aus der Traum vom Wandbild an der Körperrückseite und auf dem Bett liegt eine blutig-schwarze Flagge. Das Verheilen ist also mindestens so wichtig wie das Aufstechen von den Tattoo-Rissen.
Ein Extrembeispiel, aber wie wichtig das Versorgen der Wunde ist, lerne ich schnell. Mein rechter Daumen zum Beispiel trägt ein Symbol aus dem Tifinagh, das unpunktierte Z, das „Yaz“ aus dem Tamazight, einer Berber*innen-Sprache. Am oberen Ende ist die tintige Spalte schlecht zusammengewachsen, die Wunde nicht gut verheilt. Die Tinte ist an dieser halbrunden Linie unterhalb der Haut verlaufen, ein klassischer Fehler bei ungenügender Tattoo-Pflege und ein Totem für kommende Bild-Projekte auf der Haut. Und dennoch ist dieser krakelige Strich – diese schwarze, ebene Narbe in der Haut – Teil des Bildes, Teil des Daumens und letztlich Teil meines Körpers. Perfektion nicht von Bedeutung, nicht für mich.
Spontan muss ich auch an eine Szene in Gokarna, Indien, denken. Am staubigen Wegesrand in der kleinen Stadt, sammeln sie sich um einen Jungen auf einer Decke. Der tätowiert gerade einen anderen, mit einer elektrischen Nadel und Tinte. Ein schnörkeliges Symbol soll es werden, dem OM-Zeichen ähnlich. Gebannt von der Unerschrockenheit der anderen, nehme ich im kleinsten Tattoo-Studio der Welt Platz. Ich sehe, wie der Kunde die Schmerzen erträgt und dabei manchmal die Augen zusammenkneift. Angekommen in einem Stadium, in dem es egal ist, dass ein Fremder einem zusieht. Nur das Surren der Maschine von Bedeutung ist. Tapfer hält er die Nadel aus. Nach der Prozedur wird curryähnliches Puder über die blutigen Linien gesträut. „Zur Heilung“, heiszt es. Mit wie viel Leichtigkeit man diesen Heilungsprozess nehmen kann.
Frisch gestochen haben diese Hautkunstwerke immer eine massive Präsenz, alles fokussiert sich auf eine Stelle am Körper. Manchmal vergisst man aber auch, dass man Bilder auf der Haut trägt. Dann blitzen sie plötzlich wieder unter dem Hemd hervor oder luken aus der Socke und erinnern einen daran, dass man etwas Unauslöschliches besitzen wollte. Oder sie beginnen vor dem Wetterwechsel zu jucken, wie in meinem Fall. Omen oder nachträgliche Allergie gegen die Tinte? Zumindest ein integrierter Wetterbericht. Blicke ich jetzt auf meinen Kompass, sieht er verwaschen aus. Süden – obgleich mehrfach nachgestochen – verschwindet langsam von der Haut. Die Zeit, sie arbeitet ununterbrochen. Auch an der Unendlichkeit auf der Haut.
AUA.
Brandwunden
ANGST – eine Entgegnung zum Text von Arthur Rimbaud „Angoisse“ aus Illuminations/Farbstiche
Wäre es möglich,dass ich Verzeihung finden könnte für die beständig niederschmetternden Nachrichten der Welt-dass es einst ein Ende dieser Zeiten der Entbehrungen geben möge, da es so viel gut zu machen gilt – dass ein Tag des Erkennens mich nicht länger schlafen lassen könnte auf der Fülle der über mich verhängten Unzulänglichkeit.
(O Mohn!Rubine!- Liebe,Kraft- mehr als alle Freuden und jeglicher Ruhm! – in allen Erscheinungen, aller Orten – Zweifel, Quelle, – Jugend dieses Wesens hier: Mensch!)
Wäre es möglich, dass die wissentschaftlichen Beweisführungen und die sozialen Verbindungen geliebt würden als die langsame Wiederherstellung der ursprünglichen Idee von Freiheit? …
Aber die Welt, die mich staunend und unsicher macht, zeigt mir mit all ihren Klüften, die sie offenbart, mich zu stellen, oder, falls nicht, nur noch fragender zu werden.
Sich spiegeln in seinen Wunden, in der flirrenden Luft und im Fluss, in den Verwirrungen, im Schweigen der gipfelnden Berge und Wolken, in den Verletzungen, die schmerzen im furchtbar dichten Gewand des Schweigens.
Wundenklänge
In unserem Rechercheteam haben wir einen Fragebogen erstellt: FRAGEN zu WUNDEN
Frage 11: Wie würde für dich eine Wunde klingen?
…wie Walgesang!
https://www.youtube.com/watch?v=L0-WNTVq1BM
Assoziation Wunde: 3 – 2 – 1 – Los
Rot, Blut, klaffend, offen, ich ekel mich. Au.
Schmerz.
Was ist passiert? Wie ist das passiert? Wie konnte das passieren?
Unvorsichtig war ich. Heilt das wieder? Das weiß ich noch nicht.
Die Wunde ist zu. Geschlossen. Die Narbe straff, weich beim drauf drücken.
Wunden aufkratzen. Macht man viel zu oft. Warum?
Schorf, Grind, Eiter- Der Dreck muss raus, sonst heilt das nicht!
Wund sein. Verwundet sein. Verwundbar sein. Verwundet werden. Wundspray. Das brennt. Die Wunde brennt. Die Wunde ziept, die Wunde kratzt, juckt- da kommt Spucke drauf.
Ein Verband schützt die Wunde, macht sie unsichtbar, bedeckt.
Die Wunde schützen- die Wunde stützen beim Heilen.
Wie verbindet man innere Wunden? Mit Schnaps!
Worten. Segen. Gebeten. Liebe. Lieben Worten. Was gibt Halt?
Wie sieht eine Narbe im Inneren aus? Heilen innere Wunden anders als äußere?
Wer sieht innere Wunden? Wie zeigen sich innere Wunden? Zeigt man die?
Die Wunde bricht wieder auf.
Wenn alte Wunden aufbrechen.
Wundstarrkrampf – Dagegen kann man sich impfen lassen.
Vor manchen Wunden kann man sich schützen.
Vor machen Wunden muss man sich schützen.
Angst sich zu verwunden – bis zur Heirat ist alles wieder gut.
Heile heile Segen, morgen gibt es Regen, übermorgen Sonnenschein, dann wird’s ganz schnell verheilt sein.
Wunden muss man pflegen. Welche Wunden pflegt man nicht? Was passiert mit einer ungepflegten Wunde?
Entzündete Wunde.
Roter Rand.
Wie viele Wunden erträgt ein Mensch?
Familienwunden
In unserem Rechercheteam haben wir einen Fragebogen erstellt: FRAGEN zu WUNDEN
Frage 6: War dein Opa Nazi?
Opa H. ist 1940 geboren und war später (so Erzählungen) gegen die Regierung bzw. „die rote Socken“. Wenn ich die Berichte richtig deute, dann war mein Opa wohl, wenn er politisch war, Oppositioneller – aber eher so grundsätzlicher Natur, unabhängig davon wer regierte. DAGEGEN! Jemand der den Parteieintritt in die SED immer sehr vehement abgelehnt hat, wenn er in der Kolchose darauf angesprochen wurde. Das sagt meine Oma immer, wenn es um meinen Opa und „früher“ geht.
Mein Opa war wohl gesellig, liebte fanatisch Fußball, feierte gern und war wohl auch in so manche Schlägerei verwickelt. War aufbrausend temperamentvoll wahrscheinlich auch cholerisch, zumindest wurde es immer sehr laut, wenn jemand den Radiosender verstellt hatte und er die Fußballspielübertragung nicht hören konnte, sagt meine Mutter.
Davon habe ich nichts mitbekommen. Opa starb mit 59 Jahren, da war ich 8. Es sind wenige, aber sehr bewusste Erinnerungen, die ich an ihn habe. Seit ich ihn kannte, war er krank. Bis heute weiß niemand so genau, was er hatte. Eine Art frühzeitige Demenz oder eine Form von Alzheimer- das wurde nie festgestellt. Es begann wohl damit, dass er die Knöpfe seiner Jacke nicht mehr schließen konnte. Erst vor ein paar Jahren erzählte mir meine Mutter, dass er versuchte, sich umzubringen, als ihm sein selbstbestimmtes Leben entglitt.
Wenn ich an meinen Opa denke, dann kannte ich einen kranken bettlägerigen Menschen. Denke aber auch an einen schönen Mann, der manchmal lachte und dass dieses Lachen, wenn es gelang, auch alle anderen im Raum fröhlich machte. Ich denke an einen stolzen und gebrochenen Mann, der sich ganz oft mitteilen wollte und seine Lippen bewegte, der versuchte Worte zu formen, aber keine Worte folgten, weil er nicht mehr wusste, wie man sie formuliert. Wenn ich an Opa denke, denke ich an Rasierschaum, Rasierpinsel und Rasierwasser. An meine Oma die jeden Tag sein Gesicht einschäumte, ihn im Pflegebett rasierte und ihm danach die schönen Haare kämmte mit einem Kamm. Und ich weiß noch, dass ich immer erstaunt war, dass dieser kleine Kamm so mühelos durch die starke Haarpracht strich.Opa hatte schöne Haare- wie Elvis nur grau. Ich erinnere mich auch an Schläuche, durch die er ernährt wurde, an Urinbeutel und Windeln die Oma wechselte. An den ambulanten Pflegedienst, der in einem kleinen weißen Auto vorfuhr und Opa wusch, an die leidenden Töne, die er machte, wenn er dabei auf die Seite gedreht wurde.
Bevor Opa nur noch im Bett liegen konnte, erinnere ich mich an ein Frühstück bei meinen Großeltern. Ich war vielleicht 5 Jahre alt. Opa saß mit mir auf der Eckbank. Er an der Stirnseite des Tisches, ich rechts neben ihm, Oma links von ihm und mir gegenüber. Oma hat mein Brot in kleine mundgerechte Stücke geschnitten (Böffchen hat sie das immer genannt). Opas Brot wurde auch in Böffchen geschnitten. Ich weiß, dass es mich als Kind verwundert hat, dass Opa auch das „Kinderbrot“ bekommt. Mich hat auch verwundert, dass Opa nicht richtig sprechen konnte. Das einzige was ich ihn sagen hörte, war der Vorname meiner Oma. Manchmal schrie er richtig nach ihr, wenn sie das Zimmer verlassen hatte und er mit mir allein am Tisch saß. Wahrscheinlich aus Hilflosigkeit, weil er nicht wusste, was er mit dem kleinen Mädchen neben sich machen sollte. Zu diesem Zeitpunkt konnte Opa noch laufen. Irgendwann stürzte er und stand nie wieder auf. Dann lag er immer in seinem Pflegebett im Wohnzimmer und ganz selten, saß er im Rollstuhl. Ich bin mir sicher, dass Opa gelitten hat. Gelitten weil er ausgeliefert war, gefangen war in seinem Körper. Ich glaube das habe ich schon als Kind verstanden.
Eine der stärksten Erinnerungen an meinen Opa, vielleicht auch eine der stärksten Erinnerungen meiner Kindheit oder zumindest eine der einprägsamsten…. Es war ein gewöhnlicher Besuch und ich verabschiedete mich von ihm. Ich ging zum Krankenbett umarmte ihn und sagte Tschüss Opi, dann sah ich ihn an und Tränen kullerten aus seinen Augen. Das war etwas überfordernd für mein kindliches Ich. Er hat mir seit dem immer sehr leid getan. Weil mir bewusst wurde, dass er gegen meine vorherige Annahme alles wahrnahm, was um ihn geschah, dass er aber nicht mehr darauf reagieren konnte, dass er nicht so reagieren konnte, wie er es vermutlich gern getan hätte, dass er nicht mehr in der Lage war, seine Enkelin selbst in den Arm zu nehmen, dass er ein Tschüss nicht erwidern konnte.
Eine Überlegung zu den Überlegungen einer/eines Wundenden
Die Frage ist ja nicht nur, meine Wunde, ob innen oder außen, wie gehts mir mit ihr, wie heilt sie? Die Frage ist auch, wie gehe ich mit den Wunden anderer bzw. wie gehen andere mit meiner Wunde um? Im weitesten Sinne: Was denken viele über eine Wunde oder wie fühlt sich der/die Wundende wenn alle seine/ihre Wunde sehen oder über sie sprechen? Will der/die Wundende das jemand über die Wunde spricht?
Oder die Wunde offensichtlich ist, aber niemand fragt. Offensichtlich zu Offensichtlich. Bzw. will man die Zehnte Person sein die sich erkundigt? Puh, einfach ignorieren. Die Frage nervt schon richtig. Leiden führt zu Mitleid, Leiden führt aber auch zu Wut. „Ohje, tuts weh? Hat dich das verletzt?“ JA VERDAMMT!
Nicht fragen ist unhöflich. Der/die Wundende möchte gefragt werden! Trotzdem als Wundende so antworten, dass man genervt ist von der Frage, bzw. signalisieren will wie taff man doch ist, bzw. dass es ja ein alter Hut sei, bzw. noch ein bisschen mehr Jammern, wenn gerade schon jemand mein Jammern hören will, bzw. bekunden das es ja hoffentlich bald vorbei ist, bzw. das allerseits beliebte und funktionale für alle verständliche „Abwinken“, bzw. sich auch für das Interesse bedanken, bzw. es nicht einmal seinen schlimmsten Feind wünschen wollen, bzw. es gibt schlimmeres, bzw. dankbar sein das es nur das ist, bzw. einfach nicht tun.
Fragt man nicht, ist das auch ignorant und Schwuppdiwupp sind die zwischenmenschlichen Verhältnisse abgesteckt. Formal ist keine Qual. Formal rettet vor mehr Öffnung. Ein großer Dank an der Stelle an die Netiquette, durch dich können wir viel umgehen… Papperlapapp: Sind wir doch ehrlich, hat das Ich eine Wunde, ist man wieder in-the-game! Aufmerksamkeit! Auf die Plätze fertig los. Endlich wieder etwas worüber wir reden können! Etwas masochistisch klingt das, zugegeben, ist doch aber so. Wer wundet wird bewundert oder angewundert. In jedem Fall ist man Teil der Wundenden und kann sich temporär diesen Status unter den Namen auf dem Ausweis notieren. Mein Stempel! Ich wunde!
Sind wir doch ehrlich, wie oft würden wir am liebsten jemanden ins Gesicht schreien: REISS DICH ZUSAMMEN! DAS IST NUR EIN KRATZER! HÖR AUF MIT DEM GEJAMMER! DAS HÄLT KEIN MENSCH AUS! DU BIST DOCH GESUND! (als Beispiel: für viele Dinge anwendbar!)
Ich will die einzelnen Wunden nicht kleinmachen oder ignorieren, ich will das Drumherum großmachen. Das was wir alle situativ wissen und denken.
Zumindest manchmal, vielleicht auch nie, aber um HIMMELS WILLEN nicht aussprechen werden!
wunde Augen
Ich habe nur wenige sichtbare Narben an meinem Körper – ein paar Schrammen aus der Kindheit, ein kleiner Hamsterbiss am Finger und blasse Linien, die eine Dornenhecke hinterlassen hat. Von größeren Unfällen oder Operationen bin ich bisher verschont geblieben. Aber ich habe körperliche Narben, die bisher erst zwei Menschen gesehen haben, nämlich meine Augenärzte. Im Jahr 2012 sah ich plötzlich viele kleine halbtransparente Punkte und einen längeren Faden. Bei einer Untersuchung stellte sich heraus, dass sich ein kleiner Teil meiner Netzhaut gelöst hatte und jetzt in der Flüssigkeit meines rechten Auges herumschwebte. Da die Gefahr bestand, dass sich noch mehr von meiner Netzhaut ablösen könnte und ich dadurch teilweise erblinden könnte, wurde das Gewebe an einigen Stellen mit einem Laser an die dahinterliegende Schicht angetackert. Dort befinden sich jetzt kleine Narben, die sich mein Augenarzt einmal im Jahr durch meine weitgetropften Pupillen ansieht.
FRAGEN zu WUNDEN
Was assoziierst du mit dem Wort WUNDE?
Welche Wunde ist bei dir noch nicht verheilt?
Wann bist du am verwundbarsten ?
Wen hast du verwundet?
Auf welche Wunde bist du stolz?
War dein Opa Nazi?
Was verwundet Dich?
Was verwundert Dich?
Was bewunderst Du?
Gibt es für dich eine offene Wunde in der Stadt Halle?
Wir würde für dich eine Wunde klingen?
Was tut dir weh? Was tat dir weh?
Woher kommt der Schmerz (Cäsar)?
Sind Wunden für dich Wendepunkte im Leben?
Führen Wendepunkte im Leben zu Wunden?
Ist eine aufgeschlitzte Grasnarbe eine Wunde (im Ökosystem)?
Wie wund machen Kundgebungen von Sven Liebig?
Kann eine Wunde still sein? – Ja – wie? / Nein – warum?
Was hilft bei Wunden?
Welche Wunde kratzt du auf?
Bedeutet Wunde auch immer Schmerz ?
Welche Wunden heilen zu langsam?
In welche Wunde legst du deinen Finger?
Kann eine Wunde etwas Positives nach sich ziehen ?
eine Antwort (die mir zugesendet worden ist)
herzwund
abgrund
tief tiefer und
wund wunder und
tief drunter
ein wunder
kein wunder
punkt
HEFT- PFLASTER -WORTE
In den Brandbergen befinden sich die Überreste eines großen NS-Freilichttheaters, das 1934 erbaut wurde. Über 5000 Zuschauer:innen fanden darin Platz. Auf dem Foto ist das „Ehrenmal der Arbeit“ zu sehen.
In ihm befanden sich sechs Arbeiterskulpturen des Bildhauers Alfred Vocke, die 1951 zum Kurt-Wabbel-Stadion (seit 2011 „Erdgas Sportpark“) überführt wurden und dort bis heute an der Außenmauer angebracht sind. Auf deren Geschichte findet sich dort kein Hinweis. Der Sportler und KPD-Lokalpolitiker Kurt Wabbel starb 1944 unter ungeklärten Umständen im Buchenwald-Außenlager Wernigerode.
Goldberg. Noch nie gehört. Wikipedia aufgemacht. Sehr wenig, aber KZ-Außenlager von Buchenwald.
Denkmal zum KZ steht in der Frohen Zukunft an der Wendeschleife. Es gibt
übrigens verschiedene Theorien wie der Goldberg in Halle seinen Namen gefunden
hat. Vermutlich, weil die Menschen (um 1750) vermuteten, dass dort Schätze
vergraben sind.
1945/1946 war in dem anliegenden Gutshof eine Tagesstätte für Kinder deren
Eltern beim Wiederaufbau halfen.
Das wünschten sich Kinder, die sich 1945/1946 in der Tagesbetreuung im Landschulheim „Am Goldberg“ befanden, zum Essen:
Erbsen mit Speck
Süße Haferflockensuppe
Pudding mit Obst
Milch – Brühreis
Kartoffelsuppe
Fleischgericht
Eiergericht
Fleischgericht
Eiergericht
Süße Graupen mit Milch
Grießbrei mit Vanillesoße
Weiße Nudeln
Hefeklöße mit Kirschen oder Dampfnudeln mit Vanillesoße
Hefeplinsen
Reisbrei mit Zucker und Zimt
Dicke Erbsen.
Magaroni mit brauner Butter
Kartoffelsalat mit Ei
Leipziger Allerlei
Quarklinsen.
(Sammlungen der Stadt Halle/S. aus einem Nachlass)
Wunden Minmap
Was assoziiere ich mit dem Wort WUNDE?
Schock, wenn sie plötzlich da ist. Und die Welt einteilt in ein Davor und Danach.
Ein Moment der Selbsterkenntnis, des Akzeptieren-Müssens der
eigenen Grenzen, der Verwundbarkeit, der Hilflosigkeit, der Sterblichkeit. Es ist auf einmal glasklar, dass ich der Physik, der Biologie, dem Schicksal und dem Verlauf der Geschichte anheim gefallen bin.
Ich bin dem Asphalt so mikroskopisch nahe, eine erniedrigende
Perspektive auch irgendwie. Alles ist plötzlich anders hier. Es riecht. Nach Erde.
Die Welt dreht sich in Zeitlupe um mich, alle anderen sind jetzt mal
egal. Es ist wie auf Drogen. Alles fühlt sich so surreal an, Sekunden,
die sich wie Stunden anfühlen, Tage, die sich wie Jahre anfühlen,
es ist auch irgendwie wunderbar. Jenseits dessen, was ich als Realität
akzeptieren gelernt habe. So intensiv. So echt. So viel wichtiger, als alles davor.
Erst dann irgendwann kommt der Schmerz.
Die Wunde hilft mir emotional zu sein. Sie berechtigt mich zu Trauer,
Wut, Schmerz, Rebellion. Jeder darf sie sehen. Sie ist wie ein Ausweis,
eine Reiseerlaubnis in den Kampf. Kampf gegen die Realität und gegen die Zeit.
Der Trotz reist mit. Er behauptet entgegen aller Wissenschaft, es gäbe
einen Weg zurück. Ins Davor.
#Antworten auf Fragen
still
du wirfst mir worte zu
körner die ich vögeln
auf die wiese werfe
rauchend in das wäldchen sehnend
als wüssten bäume mehr
mit einigen worten
weiß ich nicht umzugehen
sie schürfen etwas auf
stoßen auf stolz der
verwundet wuchert
ich kann an rändern
alter narben entlang ziehen
als umrundete ich einen see
dessen tiefe unheimlich
dessen stille nichts preisgibt
Gemeinsam mit Christoph Minkenberg, Lena Mühl, Benjamin Müller, Marc-Antoine Petit, Tomy Suil haben wir – Juliane Blech, Nicole Tröger, Elsa Weise und Tom Wolter – uns in diese Auseisandersetzung begeben. Wir sind Schriftstellerin, Bildender Künstler, Musiker, Schauspielerinnen, Schauspieler, Figurenspielerin! Wir sind Theaterschaffende. Und erfinden das, was uns Theater ist, in diesen Tagen neu. Und bereiten uns vor.